Google DeepMind: Der ethische Aufstand der KI-Elite

28. April 2025
5 Min. Lesezeit

Es gibt Momente, in denen Techniker zu Aktivisten werden müssen. Bei Google DeepMind in London erleben wir genau solch einen Wendepunkt: Rund 300 Mitarbeiter – immerhin 15 Prozent der Belegschaft – schließen sich der Communication Workers Union (CWU) an. Ihr Ziel: Klare ethische Grenzen für ihre Technologie durchzusetzen und die militärische Nutzung zu verhindern.

Diese mutigen Entwickler verdienen nicht nur Respekt, sondern aktive Unterstützung. Sie stehen an vorderster Front im Kampf um die Frage: Entwickeln wir KI für das Gemeinwohl oder für Kriegsmaschinerien?

Der ethische Aufstand der KI-Elite

Von ethischen Grundsätzen zur Kriegstauglichkeit – ein Verrat an den Entwicklern

Der Funke, der diese Rebellion entfachte: Im Februar 2025 kippte Google sein 2018 gegebenes Versprechen, keine KI für Waffen oder Überwachungssysteme zu entwickeln. Ein klarer Vertrauensbruch gegenüber Entwicklern, die genau wegen dieser ethischen Haltung zu DeepMind gekommen waren.

Wir fühlen uns betrogen

Die Financial Times zitiert einen beteiligten Ingenieur – und dieser Betrug wiegt schwer. Denn diese brillanten Köpfe haben ihre Lebenszeit und Kreativität in Technologien investiert, die nun für Zwecke eingesetzt werden könnten, die sie zutiefst ablehnen.

Projekt Nimbus: Die rote Linie für verantwortungsvolle KI

Im Zentrum der Kontroverse steht Projekt Nimbus – ein 1,2-Milliarden-Dollar-Deal zwischen der israelischen Regierung und den Tech-Giganten Google und Amazon. Die Befürchtungen sind mehr als berechtigt: KI-Algorithmen könnten im Gaza-Konflikt zum Einsatz kommen und menschliches Leid verstärken.

Der Widerstand hat bereits konkrete Konsequenzen: Mindestens fünf DeepMind-Mitarbeiter haben in den letzten zwei Monaten gekündigt – mit explizitem Verweis auf das Israel-Abkommen und den Rückzug von ethischen Verpflichtungen. Das ist kein leichtfertiger Schritt, sondern ein bewundernswertes Zeichen moralischer Integrität.

Gewerkschaft als letzte Verteidigungslinie der KI-Ethik

Die KI-Branche verwandelt die Arbeitswelt radikal – und ihre Entwickler greifen nun zum wirksamsten Instrument kollektiver Gegenwehr: der Gewerkschaft. Diese Entwicklung zeigt, wie sehr ethische Fragen die Technologiebranche prägen und wie entschlossen Entwickler für ihre Überzeugungen einstehen.

Google hat sich längst von seinem ursprünglichen “Don’t be evil” verabschiedet. Die neuen KI-Grundsätze verpacken den ethischen Rückschritt in schwammige Formulierungen über “breit akzeptierte Prinzipien des internationalen Rechts” – während konkrete Beschränkungen für militärische Nutzung verschwinden.

Die ehemalige Google-KI-Forscherin Margaret Mitchell bringt es unverblümt auf den Punkt: “Die Entfernung dieser Klausel löscht die Arbeit, die so viele Menschen im Bereich der ethischen KI geleistet haben. Noch problematischer: Google wird jetzt wahrscheinlich an Technologien arbeiten, die direkt Menschen töten können.”

Der Widerstand formiert sich

Die CWU betont, dass der Protest nicht um Geld geht, sondern um fundamentale Prinzipien. Wird die Gewerkschaft anerkannt, könnten Verhandlungen über den Ausstieg aus den Verteidigungsverträgen folgen. Im Extremfall wären auch Streiks denkbar – ein drastisches, aber notwendiges Mittel im Kampf um ethische Grenzen.

Dass ausgerechnet KI-Entwickler, deren Technologie weltweit Arbeitsplätze und Arbeitskämpfe transformieren könnte, nun selbst zum klassischen Instrument des gewerkschaftlichen Zusammenschlusses greifen, ist mehr als eine Fußnote der Geschichte. Es zeigt, dass technologischer Fortschritt ohne ethischen Kompass zum Irrweg wird.

Ein Kampf, der uns alle betrifft

Google ist nicht allein. Bei Amazon, Apple und anderen Tech-Unternehmen formieren sich ebenfalls Gewerkschaftsinitiativen. 2021 gründeten Google-Mitarbeiter bereits die Alphabet Workers Union in den USA. Der Widerstand wächst.

Was wir gerade erleben, ist ein entscheidender Moment: KI-Entwickler entdecken ihre kollektive Macht und nutzen sie, um ethische Leitplanken für ihre Schöpfungen einzufordern. Sie verstehen, dass sie mehr als nur Code produzieren – sie gestalten die Zukunft unserer Gesellschaft.

Die Botschaft aus London ist unmissverständlich: Wer die Technologien von morgen erschafft, trägt Verantwortung für deren Einsatz. Der Kampf dieser 300 DeepMind-Mitarbeiter ist nicht nur ihr eigener – es ist ein Kampf für eine KI, die dem Leben dient, nicht dem Tod.

Porträt von Sascha Seniuk, IT-Architekt & Gründer AIscream bei AIscream

Sascha Seniuk

IT-Architekt & Gründer AIscream

IT-Architekt mit 20+ Jahren Berufserfahrung. Von DOS über Cluster-Infrastruktur bis hin zu LLM-Workflows. Open-Source-Evangelist mit Kommunikationstalent, der komplexe Technik verständlich erklärt.