Europa: KI-Kraftpaket oder Regelungszombie?
Während USA und China das KI-Spielfeld dominieren, steht Europa am Seitenrand und schreibt fleißig die Spielregeln um. Klingt nach einer schlechten Strategie? Ist es auch.
Svenja Hahns FAZ-Gastbeitrag “Wir haben keine Zeit zu verlieren” trifft den Nagel auf den Kopf: Europa verschläft seine KI-Zukunft – und das in einem selbstgebauten Bett aus Paragrafen.
Das europäische KI-Dilemma in drei Akten
Akt 1: Große Worte, kleine Taten
Morgens “digitale Souveränität” predigen, mittags den AI Act verabschieden und abends wundern, warum keine europäischen KI-Champions entstehen. Ein klassisches EU-Drama.
Als jemand, der selbst im digitalen Mittelstand schwitzt und mit den Auswirkungen europäischer Regulierung ringt: Die Diskrepanz zwischen politischem Gerede und Alltagsrealität ist atemberaubend. Und nicht im positiven Sinne.
Akt 2: Die Bürokratie-Lawine
Während wir Checklisten abarbeiten und Compliance-Berichte schreiben, entwickelt der Rest der Welt neue Modelle. Besonders für uns KMUs ist das bitter: Große Tech-Giganten stemmen die Regulierungsflut mit Leichtigkeit – wir ertrinken darin.
Der AI Act mag ethische Grenzen setzen, doch mit seinen Ausnahmen für staatliche Akteure führt er diese teilweise ad absurdum.
Gleichzeitig zwingt er private Entwickler in ein Korsett aus unklaren Regeln und teuren Pflichten. Innovation geht anders.
Akt 3: Der fragmentierte Binnenmarkt
27 Länder, 27 Märkte, und irgendwo dazwischen die europäische Idee. Während die USA einen gigantischen einheitlichen Markt haben, kämpfen wir mit:
- Zersplitterten Märkten
- Bürokratischen Hürden auf jedem Schritt
- Einem chronischen Mangel an Risikokapital
Ein Start-up-Gründer sagte mir letzte Woche: “Für die erste Million gehe ich nach Berlin, für die nächsten hundert nach Kalifornien.” Das ist die traurige Realität.
Die überfällige Kehrtwende: Vom Papiertiger zum Innovationstreiber
Macron mobilisiert 100 Milliarden Euro privates Kapital für die KI-Entwicklung in Frankreich. Von der Leyen stockt die Invest-AI-Initiative um 50 Milliarden Euro auf. Nette Anfänge – aber nur Tropfen auf dem heißen Stein eines strukturellen Problems.
Was Europa jetzt braucht:
- Radikale Entbürokratisierung - Nicht noch mehr Papierkram, sondern weniger
- Echte Kapitalmarktunion - Damit europäische Start-ups nicht für jeden Wachstumsschritt nach Amerika pilgern müssen
- Talententwicklung on steroids - Die klügsten Köpfe kehren Europa nicht den Rücken, weil es hier zu schön ist, sondern weil die Chancen anderswo besser sind
Das Trump-Fenster nutzen
Die USA werden unter Trump für viele Top-Talente und Innovatoren weniger attraktiv. Ein Zeitfenster, das sich nicht oft öffnet. Europa könnte einspringen – wenn wir endlich aufwachen.
Fazit: Jetzt oder nie
Die Frage ist nicht mehr, ob Europa bei KI mithalten kann. Die Frage ist, ob wir überhaupt noch mitspielen wollen oder uns mit der Position des Schiedsrichters begnügen – der die Regeln macht, aber nie den Pokal hebt.
Hahns Weckruf sollte nicht nur in Brüssel hallen, sondern in jedem Startup-Hub, jedem Mittelständler und jeder Forschungseinrichtung Europas. Wir haben tatsächlich keine Zeit zu verlieren.
Die Uhr tickt. Und sie tickt nicht in Brüsseler Legislaturperioden, sondern im rasanten Tempo der globalen KI-Innovation.